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Was macht einen guten Heilpraktiker aus?

Ich weiß nicht mehr genau, wer mir den Namen damals gegeben hat. Vielleicht war es meine Nachbarin, vielleicht die Frau von der Biokiste, jedenfalls jemand, der es gut meinte. Ich hatte schon einige Stationen hinter mir, war mit einem diffusen Bauchgefühl durch Arztpraxen getingelt, hatte Blut abnehmen lassen, auf Ergebnisse gewartet, dann die schulterzuckende Aussage bekommen, es sei alles in Ordnung. Und wenn man das drei, vier Mal erlebt, während der eigene Körper parallel dazu sehr klar mitteilt, dass eben nicht alles in Ordnung ist, dann fängt man an zu zweifeln – nicht unbedingt an den Ärzten, aber an der Idee, dass „unauffällige Werte“ auch bedeuten, dass man sich gut fühlen sollte.

Ich war also müde. Nicht nur körperlich. Sondern müde vom Funktionieren, vom Selbstbeobachten, vom Erklären-Müssen. Und als ich an einem verregneten Mittwochmorgen vor der Praxis stand, Altbau, hohe Fenster, Salzkristalllampe im Fensterbrett, hatte ich diese merkwürdige Mischung aus Hoffnung und Scham in mir. Hoffnung, dass da jetzt vielleicht jemand ist, der mir zuhört. Scham darüber, dass ich offenbar an dem Punkt war, wo ich es „alternativ“ versuchen musste. Als wäre das ein Rückschritt. Ein Eingeständnis des Scheiterns in einem System, dem man eigentlich vertrauen wollte.

Drinnen roch es nach getrocknetem Lavendel und Holz. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, die Schuhe ausziehen zu müssen, wie das etwas mit mir machte, mich verwundbar, aber auch ein Stück ehrlicher werden ließ. Ich setzte mich auf das Sofa, wartete, hörte eine Uhr ticken, die so langsam ging, dass ich dachte, sie sei stehen geblieben.

Dann kam sie. Die Heilpraktikerin. Unaufgeregt, eher leise, ohne die überschwängliche Wärme, die man manchmal erwartet. Sie fragte, wie es mir gehe, aber so, dass ich nicht mit „gut, danke“ antworten konnte. Und ich redete. Mehr, als ich vorhatte. Über Müdigkeit, über Enge, über dieses seltsame Gefühl, dass da etwas nicht stimmt, ohne dass ich benennen konnte, was.

Ich habe in dieser ersten Sitzung keine Diagnose bekommen. Kein Rezept, keine Therapieempfehlung, keine handfeste Erklärung. Aber ich habe etwas anderes bekommen, das ich damals fast schmerzhaft vermisst hatte: Raum. Raum, der nicht funktional war. Raum, in dem mein Körper nicht bewertet wurde, sondern einfach da sein durfte. Das war neu. Und es war irritierend.

Denn natürlich zweifelte ich. Ich googelte abends Begriffe, die sie benutzt hatte. Ich las Rezensionen, suchte nach Studien, wollte mich absichern. Es war dieser ewige Reflex, der einem eingebläut wurde: Nur das, was evidenzbasiert ist, zählt. Alles andere ist bestenfalls Placebo, schlimmstenfalls gefährlich. Und trotzdem: Ich ging wieder hin. Nicht aus blindem Glauben, sondern weil da etwas in mir war, das sagte: Hier passiert gerade etwas, das du nicht vollständig verstehen musst, um es ernst zu nehmen.

In den folgenden Wochen wurde klar, dass es kein einfacher Weg werden würde. Kein Protokoll, keine Pille, keine schnelle Lösung. Stattdessen viele Gespräche, kleine Veränderungen, Empfehlungen, die eher nach Anregungen klangen. Und immer wieder die Frage: Was braucht dein Körper gerade? Ich wusste selten eine Antwort, aber ich lernte zuzuhören. Nicht ihr. Sondern mir.

Was macht also einen guten Heilpraktiker aus? Vielleicht ist es genau das: Die Fähigkeit, einen Menschen wieder in Beziehung zu sich selbst zu bringen. Ohne zu vereinnahmen. Ohne zu versprechen, was nicht versprochen werden kann. Ohne mit Angst oder Heilungsdruck zu arbeiten. Sondern mit einem leisen Wissen darum, dass der Körper oft mehr weiß als jede Diagnose. Und dass das, was heilt, nicht immer messbar sein muss.

Ich habe in den letzten Jahren auch andere Heilpraktiker erlebt. Manche gut, andere weniger. Ich war bei einer Frau, die nach zwei Minuten meinte, meine Probleme seien eindeutig karmisch, und ich müsse nur meine Energiezentren reinigen. Ich war bei einem Mann, der so viele Mittel gleichzeitig empfahl, dass ich mich fühlte wie ein Apotheker auf Pilzen. Und ich war bei einer, die fast nichts tat, aber alles veränderte, einfach weil sie mir zuhörte, ohne mich zu analysieren.

Es ist schwer, das festzumachen. Einen guten Heilpraktiker erkennt man nicht an der Einrichtung, nicht an der Homepage, nicht am Preis. Man erkennt ihn auch nicht unbedingt daran, ob er „zertifiziert“ ist oder nicht. Man erkennt ihn – oder sie – daran, wie man sich fühlt, wenn man geht. Nicht sofort besser, nicht geheilt, aber vielleicht ein kleines bisschen klarer. Leichter. Nicht weil jemand das Problem gelöst hat, sondern weil man den Raum bekommen hat, es selbst zu sehen.

Ich denke oft an diese erste Sitzung zurück, wenn ich heute darüber lese, wie umstritten Heilpraktiker sind. Und ich verstehe die Kritik. Es gibt unklare Standards, gefährliche Grauzonen, absurde Methoden. Und ja, es gibt Menschen, die Heilung versprechen, wo sie keine anbieten können. Aber es gibt auch eine andere Seite. Menschen, die mit Sorgfalt, mit Demut, mit tiefer Verantwortung arbeiten. Die nicht heilen wollen, sondern begleiten. Die nicht wissen, was richtig ist, sondern gemeinsam suchen. Und die den Mut haben, auch mal zu sagen: Hier endet meine Kompetenz.

Vielleicht ist das der wichtigste Punkt. Ein guter Heilpraktiker kennt seine Grenzen. Und hat kein Problem damit, auf Schulmedizin zu verweisen, wenn sie gebraucht wird. Es geht nicht um entweder oder. Es geht um beides. Um das Wissen, dass wir Systeme brauchen, aber auch Menschen. Dass Technik wichtig ist, aber nicht alles. Und dass man manchmal mehr heilt, wenn man zuhört, als wenn man therapiert.

Ich merke, wie mein Blick auf das Thema sich verändert hat. Früher war ich entweder fasziniert oder skeptisch. Heute bin ich beides zugleich. Ich glaube an Pflanzen. Ich glaube an Berührung. An Rituale. Aber ich glaube auch an Laborwerte und Medikamente, wenn sie nötig sind. Und vor allem glaube ich an die Fähigkeit, zu spüren, wem man vertrauen kann. Das ist keine esoterische Fähigkeit, sondern eine, die wir oft verlernt haben, weil uns beigebracht wurde, dass nur das zählt, was man beweisen kann.

Aber Vertrauen lässt sich nicht messen. Nur leben.

Ich habe den Kontakt zur ersten Heilpraktikerin irgendwann verloren. Vielleicht, weil ich irgendwann genug verstanden hatte, um den Weg allein weiterzugehen. Vielleicht, weil ich nicht mehr suchte, sondern anfing zu finden. Was blieb, war eine Art innere Landkarte. Keine, die mir sagte, wo es langgeht. Aber eine, die mir hilft, mich selbst nicht mehr zu übergehen, wenn etwas nicht stimmt.

Und vielleicht ist das das Schönste, was jemand einem geben kann.