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Zurück zur Intuition: Wie wir das Fühlen wieder lernen

Ich erinnere mich nicht mehr an den Moment, in dem ich meine Intuition verloren habe. Wahrscheinlich war es kein Moment, sondern eine langsame Verlagerung. Ein stilles Verschieben von innen nach außen. Von „ich spüre, was ich brauche“ hin zu „ich lese, was empfohlen wird“. Das ist ja auch einfacher. Orientierung durch fremde Meinungen fühlt sich auf den ersten Blick stabiler an als das fragile Geflecht aus eigenen Empfindungen. Und so wird es irgendwann ganz normal, dass man lieber recherchiert als innehält. Dass man lieber fragt, was andere tun würden, statt sich selbst zu fragen, was sich gut anfühlt. Bis man irgendwann gar nicht mehr weiß, wie sich das anfühlen würde – wenn etwas stimmig ist.

Ich habe das lange nicht bemerkt. Ich habe funktioniert, entschieden, geplant. Mein Körper hat in der Zwischenzeit immer wieder leise Signale geschickt, aber ich habe sie interpretiert wie man eine Maschine überprüft: rational, systematisch, sachlich. Ich habe mich selbst ausgetrickst, mit Routinen, To-do-Listen und einem inneren Komitee aus Meinungen, das mir sehr überzeugend erklären konnte, warum meine Sehnsucht nach Pause, Rückzug oder Berührung gerade nicht reinpasst. Und wie oft ich dieses „nicht reinpassen“ über meine Bedürfnisse gestülpt habe, kann ich nicht mehr zählen.

Man nennt das, glaube ich, Anpassung. Oder: Erwachsenwerden. Jedenfalls war ich darin ziemlich gut.

Und irgendwann kam der Moment, in dem mein Körper einfach nicht mehr mitgemacht hat. Keine große Sache, kein Drama, eher ein steter Rückzug. Müdigkeit, die nicht mehr wegging. Appetitlosigkeit. Gereiztheit. Und diese unerklärliche Traurigkeit, die nicht traurig war, sondern eher eine stille Abwesenheit von Freude. Als hätte jemand den Ton aus meinem Leben gezogen und nur das Bild übriggelassen. Funktionalität ohne Resonanz.

Ich weiß noch, wie ich damals in einem Buch las, dass Intuition wie ein Muskel sei. Dass man sie trainieren könne. Dass man sie wiederfinden könne, wenn man beginnt, ihr Raum zu geben. Und ich war ehrlich gesagt wütend. Weil ich dachte: Das klingt so einfach. Und ich fühle mich meilenweit davon entfernt. Ich wusste nicht mal, was ich fühlte, wenn ich es nicht benennen konnte. Und genau das war das Problem. Ich war so gut im Reflektieren, im Analysieren, im Benennen, dass ich verlernt hatte zu spüren, ohne es gleich in Worte fassen zu wollen.

Aber irgendwo unter all dem Misstrauen war da auch ein kleiner, leiser Wunsch. Der Wunsch, mich selbst wieder wahrzunehmen. Ohne Bewertung. Ohne Ziel. Nur so. Und vielleicht war das der Anfang.

Ich begann, kleine Dinge zu bemerken. Wie mein Körper sich anfühlt, wenn ich morgens die Augen öffne. Ob ich Lust auf Tee oder Kaffee habe, bevor ich mich frage, was gesünder ist. Ich versuchte, eine Entscheidung nicht aus dem Kopf zu treffen, sondern aus dem Bauch. Und es war seltsam. Unsicher. Ich hatte das Gefühl, mir selbst nicht trauen zu können. Ich war so lange damit beschäftigt gewesen, richtig zu sein, dass ich gar nicht wusste, wie sich stimmig anfühlt.

Aber mit der Zeit wurde es besser. Nicht linear. Sondern in kleinen Wellen. Ich erinnerte mich an Momente aus meiner Kindheit, in denen ich einfach getan hatte, was sich gut anfühlte. Barfuß über nasse Wiesen gelaufen. Mich unter eine Hecke verkrochen. Steine gesammelt, ohne Grund. Ich wusste nicht, was Intuition ist. Aber ich wusste, dass ich damals in Verbindung war. Mit mir. Mit der Welt.

Und ich fragte mich, wann genau das verloren gegangen war. Vielleicht an dem Tag, an dem mir jemand sagte, man dürfe sich nicht so anstellen. Vielleicht beim ersten Eintrag im Schulplaner. Vielleicht, als ich lernte, dass Leistung zählt und Fühlen unzuverlässig ist. Vielleicht aber auch einfach durch das Leben selbst, das irgendwann so voll ist, dass man nur noch funktioniert, um nicht unterzugehen.

Inzwischen glaube ich, dass es nicht darum geht, zur Intuition zurückzukehren, als wäre sie irgendwo auf dem Weg verloren gegangen. Ich glaube, sie war nie weg. Sie war nur überlagert. Von Vernunft, von Angst, von Erwartung. Und sie kommt zurück, wenn man still wird. Nicht durch eine Methode. Nicht durch einen Kurs. Sondern durch Aufmerksamkeit. Durch Zuhören. Durch die Bereitschaft, sich wieder selbst zu glauben.

Ich merke das besonders in der Natur. Wenn ich im Wald bin, allein, ohne Musik, ohne Ablenkung, dann passiert manchmal etwas Seltsames: Mein Körper wird ruhig. Nicht nur äußerlich. Sondern innen. Die Gedanken fahren runter, wie ein Rechner, der nicht mehr gebraucht wird. Und dann kommen sie, diese kleinen Impulse. Lauf da lang. Bleib kurz stehen. Schau hin. Ich weiß nicht, ob das Intuition ist. Aber es fühlt sich an wie Vertrauen. Und das reicht mir.

Manchmal denke ich, dass wir in einer Welt leben, die systematisch versucht, uns von unserer Intuition abzuschneiden. Durch Lärm, durch Tempo, durch Reizüberflutung. Aber ich glaube auch, dass sie nie ganz verschwinden kann. Sie ist wie eine Grundmelodie, die immer da ist, auch wenn das Orchester zu laut spielt. Und vielleicht geht es genau darum: das Orchester mal auf stumm zu schalten, um diese Melodie wieder zu hören.

Ich habe keine Anleitung dafür. Ich kann nicht sagen: So geht es. Was ich aber sagen kann: Es lohnt sich. Auch wenn es mühsam ist. Auch wenn man sich dabei oft fühlt wie ein Anfänger im eigenen Leben. Aber es lohnt sich, weil man plötzlich wieder spürt, dass man nicht nur reagiert, sondern auch wählen kann. Dass das eigene Körpergefühl nicht lästig ist, sondern ein Kompass. Und dass man selbst nicht etwas ist, das optimiert werden muss, sondern etwas, das erinnert werden darf.

Vielleicht ist Intuition einfach nur ein anderes Wort für Zugehörigkeit. Zu sich selbst. Zum eigenen Körper. Zum Leben, das nicht effizient sein will, sondern lebendig.

Und vielleicht beginnt alles mit einem leisen: Ich spüre da was.